Reisebericht einer Landratte, die einen Segeltörn erwartete und eine Sprachreise bekam
Tag 1 – 29.12.23
Das Einschiffen auf Fuerteventura am 29.12.23 ist der Beginn meines – wie ich anfangs dachte – Segeltörns. Die Hektik des Hafens von Puerto Rosario, das geschäftige Treiben der Vorgänger-Crew Jan Peter, Maja und der Kapitänin Uli und die Hochseeyacht Anuk vor mir, erzeugen eine Atmosphäre voller Vorfreude.
Doch sehr schnell stellt sich heraus, dass es eigentlich darum geht, meine sprachliche Kompetenz zu erweitern:
Durch die Plicht und den Niedergang gelange ich zu meiner Koje Steuerbord achtern in der ich die nächste Zeit pofen werde. Die Koje ist einfach, ganz aus Holz, aber gemütlich. Nachdem ich mein Zeug im Schapp unter dem Bullauge verstaut habe, erkunde ich das Schiff und lerne die neue Crew kennen: Nane, Katrin und Oomke.
Plicht – Teil an Deck eines Sportbootes mit Steuerstand und Sitzbänken
Steuerbord – rechte Schiffsseite in Fahrtrichtung
achtern – der hintere Teil des Schiffes
Crew – die Besatzung
Koje – Schlafstätte
Niedergang – Treppe
pofen – schlafen
Zeug – Ausdruck für die Kleidung
Schapp – Schrank, Spind
Bullauge – wasserdichtes Seitenfenster
Tag 2 – 30.12.23
Um Ebbe in unseren Vorräten zu verhindern, begeben sich Katrin, Oomke und ich am nächsten Tag auf Einkaufstour in den nahe gelegenen Supermarkt Hiperdino. Unser Fokus liegt auf Weinbuddeln, Kujambelwasser, jamon de serrano, chorizo und frischem Obst und Gemüse von den Kanaren für die Kombüse.
Gemeinsam beladen wir eine Sackkarre und bringen die Bordverpflegung zum Schiff. Dort lerne ich neue Vokabeln, denn Nane und Uli unterstützen uns beim Verblocken und Überstauen der Einkäufe. Die Effizienz im Store ist entscheidend, um die Stabilität des Schiffs zu bewahren. Mit einem Blick auf die sorgfältig verstauten Güter sind wir bereit zum Auslaufen.
Beim Auslaufen aus Puerto Rosario erweitert sich mein Wortschatz weiter. Die Opferanode wird eingeholt, der Vorspring und der letzte auf Slip gelegte Festmacher werden gelöst. Vor– und Achtersprings werden aufgeschossen, während Uli gefühlvoll Gas gibt und sich Anuk langsam vom Anlegesteg entfernt.
Ein letzter Blick zum Hafen und dem kleinen Strand, Playa Chica, wo wir heute Morgen noch gebadet haben. Das Lösen der Webleinstecks und das Einholen der Fender sind die abschließenden Handgriffe.
Gegen Abend entscheiden wir uns für einen idyllischen Ankerplatz vor Ensenada de Pozo Negro. Es handelt sich um ein kleines Dorf mit einem grauen Sandstrand. Oomke lässt gekonnt die Ankerkette aus dem Kabelgatt ausrauschen, während Uli professionell eintörnt. Anuk schliert sanft.
Ebbe – Zeit des ablaufenden Wassers von Hochwasser bis Niedrigwasser
Buddel – Flasche
Kujampelwasser – alle Sorten von Fruchtsaftgetränken
Kombüse – Küche
verblocken – Verkeilen von Ladung
überstaut – die Ladung, die zuerst von Bord soll, wird durch eine andere überdeckt
Store – Vorratskammer/-raum
Opferanode – kleine Zinkplatten, die bei stählernen Schiffen am Unterwasserrumpf und in der Nähe des Propellers angebracht werden, um den durch Elektrolyse verursachten Materialabtrag zu verhindern.
Vorspring – Festmacherleine, die am Bug nach achtern verläuft
auf Slip – Abschluss eines Knotens mit einem Bogen, mit der der Knoten schnell gelöst werden kann
Festmacher – Leine
Achterspring – Festmacherleine am Heck, die nach vorne läuft
Aufschießen einer Leine – Tauwerk nach seinem Gebrauch so zusammenzulegen, dass es verstaut bzw. alsbald wieder verwendet werden kann
Webleinstek – seemännischer Knoten
Fender – Puffer, schützt den Schiffsrumpf am Liegeplatz
Kabelgatt – Stauraum für Kabel, Leinen und auch Ankerkette im Vorschiff
ausrauschen – schnelles Nachgeben einer Leine oder Ankerkette
eintörnen – Vorgang beim Ankermanöver. Wenn nach dem Fallen des Ankers Kraft auf die Kette kommt, der Anker sich dann in den Grund eingräbt, die Kette darauf hin wieder erschlafft
schlieren – das Schiff treibt vor Anker
Tag 3: Silvester
Uli preit ihren Segelfreund Christian an, um ihm die gute Neuigkeit mitzuteilen: Wir haben nach einem halben Tag Motoren einen guten Ankerplatz für die Silvesterfeier gefunden. Die Bucht vor La Lajita, einem verschlafenen, recht ursprünglichem Fischerdorf.
Woraufhin das grüne Segelboot von Christian in die Bucht einläuft. Es wird entschieden, in einem Päckchen mit seinem Boot zu ankern. Außerdem erweitert Jörg unsere Crew.
Die Päckchen liegen fest, und Anuk wird kurzerhand von Christian und seiner Crew gekapert, um die Silvesterfeier mit Gegrilltem vom Coob und feucht fröhlichem Beisammensein zu beginnen. Die Stimmung an Bord steigt, begleitet von Lachen und dem Rauschen der Brandung.
Der nächste Morgen bringt eine unerwartete Überraschung: Ein Segelboot-Tramper von Christian, macht kurzerhand die Bordziege und entert auf!
anpreien – ein anderes Schiff anrufen
Päckchen nennt man das Festmachen mehrerer Schiffe längsseits nebeneinander
kapern – aufbringen eines Schiffes mit Gewalt
Bordziegen – Seeleute, die in der Takelage herumturnen
entern – 1. das Übersteigen auf ein feindliches Schiff; 2. das Klettern in die Wanten
Tag 4: Neujahr
Neujahr nehmen wir Kurs auf Punta di Jandia, doch aufgrund von Kalme muss der Motor mal wieder einspringen. Der Rudergänger hat wenig zu tun; nur der Kurs muss präzise gehalten werden. Zur Abwechslung wird Smoketime ausgerufen, und die Crew genießt die entspannte Atmosphäre vor der Küste von Fuerteventura.
Bei Punta de Jandia angekommen, wird mit dem Zurrbock das im Davit hängende Dingi mühelos zu Wasser gelassen. Oomke nimmt auf der Ducht Platz, Katrin sitzt im Bug und ich achtern. Oomke greift zu den Riemenund pullt uns – ohne krebsen – an den Strand. Wir genießen einen kleinen Spaziergang auf der Landzunge zum Leuchtfeuer.
Kalme – 1. Windstille, Stille 2. Die Regionen mit vorherrschender Windstille z.B. der Kalmen-Gürtel
Rudergänger – der Seemann, der die Wache am Ruder geht; er steuert den Kurs
Smoketime – Kaffeepause nach dem Frühstück und vor dem Mittagessen
Zurrbrook – dient zum Festhalten eines in der Davit hängenden Bootes
Davit – ein Kran an der Reling von größeren Schiffen, mit dem (Rettungs-)Boote geheißt werden
Dinghi – kleines Beiboot
Ducht – die Sitzbank in einem offenen Boot
Riemen – das, was Landratten als „Ruder“ bezeichnen
pullen – rudern
Krebsen – Fehlschlag beim Rudern, Luftschlag beim Pullen, mit Riemen im Wasser stecken bleiben
Tag 5. – 2.1.24
Mit einer Mütze voll Wind läuft die Anuk mit 3,1 Knoten voran Richtung Gran Canaria. Die Crew ist begeistert und in Rausch versetzt. Doch für mich, die Landratte an Bord, gibt es einen fulminanten Rausch der Begriffe. Während Winsch, Log, Faulenzer, Großschot und Lazy Jack in irgendwie Aktion treten, schwirren mir die Ohren, als ich Wanten, Tampen, reffen, fieren, dichtholen, Gofio, Gennaker… höre.
Noch ganz im Begriffswirrwarr gefangen, überrascht mich Katrin mit ihrer erstaunlichen Fähigkeit ganz nebenbei auch noch mit dem Binokel zu plieren. „Recht voraus ist was!“ Delfine? Leider nein. Es sind nur die viel weiter verbreiteten Welfine…
Im Dunkeln erreichen wir die Bucht vor Maspalomas. Der schmale, hohe Leuchtturm und die gut beleuchteten Werbetafeln der Restaurants von Maspalomas erleuchten die Nacht. In der wir mit anderen Segelschiffen schwoien.
Mütze voll Wind – umgangssprachlich für etwas Wind
Winsch – nur in eine Richtung drehbare Trommel, um die eine Leine gelegt werden kann. Im Innern der Trommel ist ein Getriebe, mit dem die Trommel gedreht werden kann.
Log – Geschwindigkeitsmesser
Faulenzer – engl.: lazy jack, diagonal vom Mast gespannte Leinen zum Sichern der Segel
Großschot – Tauwerk zum Bedienen des Großsegels
Wanten – Taue zur seitlichen Abstützung der Masten
Tampen – Ende einer Leine, seemännische Umgangssprache für Leine
reffen – Verkleinerung der Segelfläche
fieren – schwebende Last langsam absenken, eine Leine nachlassen
dichtholen – maximales Durchholen einer Leine
Gofio – Nahrungsmittel, das durch Vermahlen gerösteten Getreides gewonnen wird
Gennaker – ein großes asymmetrisch dreieckiges Vorsegel
Binokel – Doppelfernglas
plieren – gucken
Recht voraus – Sichtmeldung genau in Fahrtrichtung
Welfine – Wellen, die für Delfine gehalten werden
schwoien – Drift ankernder Schiffe
Tag 6 – 3.1.24
Am 3. Januar verbringen wir eine Nacht auf Reede vor Puerto Mogan, dem „Venedig Gran Canarias“. Von kleinen Kanälen durchzogen, die von Brücken überspannt werden, verbreitet dieser Ort einen einzigartigen Charme.
Reede – Ankerplatz außerhalb des Hafens
Tag 7-9 – 4.1. – 6.1.24
Am nächsten Tag können wir nach einem Telefonat mit dem Hafenmeister überraschend die Mole passieren, um schließlich doch noch in den Hafen einzulaufen. Ein Schauermann zeigt uns den Liegeplatz. Er ist zwischen zwei Schiffen und sehr, sehr eng. Mit viel Präzision und Geschick führt Uli das Anlegemanöver durch.
Die Mooring, alt und glitschig, stellt die Kaffeesegler der Crew vor Herausforderungen. Mehrmals entgleitet sie uns, aber und schließlich liegt die Yacht erfolgreich vertäut in der Marina.
Nun gönne ich mir eine kurze Auszeit beim Abschwabbeln. Anschließend stürze ich mich mit Katrin und Oomke ins Tingeltangel von Mogán:
Wir kosten lokale Spezialitäten und genießen das bunte Treiben eines Festumzugs, erkunden den lebhaften Wochenmarkt im oberen Teil des Hafens. Am 5.1. geht es mit dem Bus nach Mogán, vorbei an der bezaubernden Mühle Molino Quemado. Ein weiteres Highlight ist der Ausflug am folgenden Tag zu den Dünen von Maspalomas, wo wir die beeindruckende Landschaft und den goldenen Sand erleben.
Schauermann – Hafenarbeiter
Mooring – eine fest am Grund verankerte Kette im Hafen zum Festmachen für Schiffe
Kaffeesegler spöttische Bezeichnung für gemütliche, „unsportliche“ Segler
abschwabbeln – duschen gehen
Tingeltangel – Vergnügungsgelegenheiten aller Art bei Landgang
Tag 10 – 7.1.24
Nachdem Ausklarieren auf Gran Canaria, brechen wir am 7. Januar nach Teneriffa auf. Mit beeindruckenden 6,3 Knoten gleiten wir durch die Wellen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Verkehrstrennungsgebiet. Und tatsächlich vorlicher als querabwird dort ein großes Containerschiff gesichtet.
Heute übernimmt Oomke die Rolle des Küchenbullen und zaubert ein köstliches Frühstück, begleitet von dampfenden Mucks. Nach dem Backen und Banken steht fest: Das Seewerfen von Abfall ist verboten.
Wir ankern über Nacht an der Playa de la Tejita einem pittoresken Naturstrand in der Nähe von Punta Roja einem beeindruckenden roten Berg.
Verkehrstrennungsgebiet – werden in besonders stark befahrenen Seegebieten eingerichtet. Entsprechen Autobahnen im Straßenverkehr. Das Fahrwasser wird in zwei Bereiche eingeteilt in denen jeweils nur Verkehr in einer Richtung zugelassen ist. Sie sollten nicht gequert werden.
Vorlicher als querab – der Bereich schräg vor dem Boot
Küchenbulle – Spottname für den Schiffskoch (Smutje, Cookie)
backen und banken – Auftragen der Speisen, Einnahme der Mahlzeit, Reinigung des Essgeschirrs
Muck – Kaffeebecher
Seewurf – etwas Überbord werfen
Tag 11 – 8.1.24
Am 8. Januar während unserer Fahrt von Teneriffa nach La Gomera durchqueren wir das erstes Walschutzgebiet der Welt und die Spannung liegt in der Luft.
Beim Auslugen entdecken wir zunächst nur Koows und Außenbordkameraden. Ein paar Mal kann in der Ferne Blas ausgemacht werden.
Dann, wie aus dem Nichts, tauchen Delfine auf. Uli schaltet wir den Motor aus, und Stille breitet sich aus. In der magischen Ruhe sehen wir 7 – 8 Delfine auftauchen. Sie kommen näher, begleiten uns für mindestens 20 Minuten und spielen fröhlich mit dem Bug unseres Schiffes.
Die Ankunft in San Sebastian, der Hauptstadt von La Gomera, ist geprägt von Überraschungen. Zuerst kommen Betty und Gerda, Mitglieder der uns ablösenden Crew, längsseits, dann gesellt sich ein Überraschungsgast dazu – Mike. Er kommt vorbei, bereit, uns mit dem neuesten Küstenklatsch zu versorgen.
Anschließend wird der Abend mit einem gemeinsamen Essen und einer spontanen Party, begleitet von fröhlichen „Wellerman“-Gesängen, genossen.
auslugen – scharfes Ausschauen
Koow – Plattdeutsch für Möwe
Außenbordskameraden – die Fische im Meer
Blas – die nach dem Tauchvorgang ausgeatmete Atemluft von Walen.
längsseits kommen – anlegen, am Kai anlegen
Küstenklatsch – schneller Nachrichtenaustausch unter Seglern und Seeleuten
Tag 12 – 9.1.24
In San Sebastian begrüßen uns im Hafen Trompetenfische. Nane klamüsert ein Auto aus für unsere La-Gomera-Tour. Gerda, Betty und ich wandern von Las Hayas nach El Cercado. Beim Mirador de Igualero stoppen wir auf, bewundern aus der Ferne El Hierro und La Palma und machen Fotos. Ein kurzer Stopp in Alajero beim Playa Santiago rundet den Tag ab.
ausklamüsern – etwas herausfinden
aufstoppen – Ein Schiff (mit Maschinenhilfe) so weit abstoppen, dass es keine Fahrt mehr macht.
Tag 13 – 10.1.24
Am letzten Tag ist klar Schiff angesagt. Ich lerne beim Saubermachen die letzten Vokabeln meiner Sprachreise: Entnebeln, Fuulbrass leeren, Gräting herausnehmen – darunter mit Leuwagen und Pützsaubermachen. Jeder Handgriff ist ein Ritual, das den Abschied einleitet.
Nachdem das Schiff blitzblank ist, packen wir unsere Sachen. Das Löschen und Ausschiffen stehen bevor. Die Verabschiedung von der Crew und Anuk wird zu einem emotionalen Moment. Zum Abschied winke ich mit einem Nüsterplünn von der Fähre, die mich nach Fuerteventura bringt.
klar Schiff machen – Reinigungs- und Aufräumarbeiten
entnebeln – Fenster vom Beschlag befreien
Fuulbrass (engl.: foolbrass) – Mülleimer auf Schiffen
Gräting – gitterartiger, begehbarer Zwischenboden aus Metall- oder verleimten Holzstäben
Leuwagen – Feudel, Aufnehmer, Schrubber
Pütz – Eimer, Schüssel, Wanne
löschen – Entladen eines Schiffes
ausschiffen – jemanden/etwas vom Schiff herunterbringen
Nüsterplünn – Taschentuch
Die Zeit mit euch war schön, vor allem das gemeinsame Vokabeltraining. Ich bin dankbar, dass ich kein Kielschwein füttern, keinen Kompassschlüssel holen oder gar nach dem Himmelshaken suchen musste.
Vielen Dank!
Text: Katrin Philipp, 20.1.24