Houston, wir haben ein Problem
Im letzten Beitrag hat Astrid euch ja schon die hard facts rund um die vom Wetter vereitelte Jan Mayen-Expedition geliefert. Heute lege ich mal nach – mit einem Bericht von unserer Ankunft auf Jan Mayen.
Habt ihr euch schon mal gefragt, wie es ist, auf einem anderen Planeten zu landen? Wir kamen diesem Gefühl auf Jan Mayen ziemlich nahe. Aber lest selbst wie unser Annäherungsversuch ablief: In einer fernen Galaxie, in der Kälte und die Abwesenheit menschlicher Existenz vorherrschen, näherte sich das Raumschiff ANUK nach fünf Tagen einem weitestgehend unbekannten Planeten. Von Nebelschwaden umhüllt und von einer blau schimmernden Flüssigkeit namens Nordmeer umgeben, lag er da und wurde seinem schlechten Ruf als Wetterküche des Teufels mehr als gerecht. Widrige kosmische Fallwinde und hoher Wellengang zwingen die ANUK, den ersten Anflug abzubrechen. Doch die Crew gibt so leicht nicht auf. Commander Uli berechnet die Flugbahn neu, holt in einem großen Bogen Anlauf und nimmt in einem kleinen Zeitfenster, in dem der Wind abflaut, nochmals Kurs auf Jan Mayen. Am frühen Morgen des 8.7.2023 ist es dann so weit: Die Landungskapsel mit vier Janmayonauten, zwei davon in orangenen Kälteschutzanzügen, koppelt sich vom Mutterschiff ab. Nach einem wilden Ritt durch die Brandungszone, schaffen Wolfgang, Eshana, Gunther und Magda es tatsächlich zu landen. Völlig durchnässt betreten sie die unwirtliche, aber faszinierende Welt Jan Mayens. „Nur ein kleiner Schritt für mich. Aber ein großer Schritt für die Menschheit“, hieß es einst bei der Mondlandung.
Ähnlich unberührt wie der Mond liegt auch der weite Strand der Kvalrossbukta vor uns. Schwarzer Sand und braunes Lavagestein zeugen von vergangenen Vulkanausbrüchen. Gigantische Walskelette, die hier vor Jahrhunderten von Walfängern hinterlassen wurden und teilweise bereits von Moos und Flechten bewachsen sind, liegen verstreut in der kargen Bucht. Tote Möwen rotten vor sich hin. Es riecht nach Modder. Ringsum ragen von giftgrünen Moosen bewachsene Hänge auf, über die langsam Nebel kriecht. Der Himmel ist von dunklen Wolken durchzogen. Jan Mayen versprüht eine düstere Atmosphäre.
Die Crew verstreut sich in alle Himmelsrichtungen. Ich bleibe allein am Strand zurück und wandere zwischen unzähligen Treibholzstämmen herum, die hier – so die wissenschaftliche These – aus dem weit entfernen Sibirien angetrieben wurden.
Der Nebel wird immer dichter und beim nächsten Blick aufs Meer ist die ANUK schon fast nicht mehr zu sehen. Ach, wenn wir mal ein Stück rausgefahren sind, werden wir sie bestimmt wieder sehen, denke ich mir und stapfe ein paar Meter über das weiche Moos bergauf. Als ich mich nochmals umdrehe, ist die ANUK komplett verschwunden. Ähm…wo sind die anderen? Nach ein paar bangen Minuten tauchen Eshana und Wolfgang aus dem Nebel auf, kurz darauf Gunther. Nun heißt es, schnellstmöglich zur Landungskapsel zurückkehren, die Kälteschutzanzüge wieder anziehen und das Dinghi startklar machen. Dumm nur, dass beim Anlanden eine Welle ins Boot gebrochen ist. Den Motor können wir so nicht starten. Paddeln ist also angesagt. Inzwischen hat auch der Schwell zugenommen. Auch wenn es verlockend wäre, einfach etwas abzuwarten, bis sich der Nebel verzogen hat – bei der ansteigenden Brandung und der Prognose, dass der Wind in Kürze zunehmen wird, ist allen klar, dass wir schnell sein müssen. Wo ist also der beste Einstiegspunkt? Brechen die Wellen da drüben nicht etwas niedriger? Also los, Dinghi über den Strand schleppen. Nee, hier auch nicht. Da, noch etwas weiter sieht es besser aus. Nach kurzer Zeit wird klar: besser wird’s nicht. Also rein da und so schnell wie möglich durch die Brandungszone durch. Der erste Versuch fällt unserer Unentschlossenheit und Diskutierfreudigkeit, um es freundlich auszudrücken, zum Opfer. Kaum sitzen wir alle im Dinghi, fegt uns eine große Welle mit Schmackes wieder an den Strand. Schnell aussteigen, Dinghi leerschöpfen und einen neuen Versuch starten. Diesmal stapfen wir alle ins bauchtiefe Wasser, beobachten die Wellen und stürzen uns nach einem beherzten „Los, jetzt!“ in die Fluten. Wolfgang und ich paddeln, Gunther und Eshana halten nach ANUK Ausschau. Wir paddeln wie die Blöden, ANUK bleibt aber unsichtbar. Was, wenn wir zu weit aufs Meer paddeln? Keine schöne Vorstellung. Hinterher erfahren wir, dass Uli und Astrid uns irgendwann auf dem Radar gesehen haben und notfalls hätten lotsen können. Nach einigem Gepaddel, das sich anfühlte wie eine Ewigkeit, erscheint die ANUK wie ein Geisterschiff aus dem Nebel – und verschwindet wieder. Aber zur guten Letzt erreichen die vier Janmayonauten völlig durchnässt, aber erleichtert wieder das Mutterschiff. Commander Uli und Co-Pilot Astrid können sich nach all dem Bangen wieder entspannt zurücklehnen (wobei, den vielen Möwenfotos nach zu urteilen, die wir hinterher zu sehen bekamen, kann ihnen nicht allzu bange zumute gewesen sein).
Denn der Wind wird nun zunehmen und nach einer weiteren kurzen Verschnaufpause in den kommenden Tagen stark bis stürmisch werden. Da es unter diesen Bedingungen auf Jan Mayen keinen Hafen und weder auf Jan Mayen noch in Ostgrönland eine geschützte Bucht für uns gibt, bleibt uns nur, in den Süden abzuhauen und Kurs auf Island zu nehmen. Schweren Herzens lichten wir den Anker und lassen Jan Mayen hinter uns. Die Idee der Beerenbergbesteigung, die vor über einem Jahr geboren wurde, ist damit gestorben.
Text: Magda